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doch etwas Fatrles. Wie verstaubt. Unter der Nase schwarze, treten er sei. Sie sagte, daß ihr seine Freundschaft recht,
zarte Härchen, Ansätze eines Schnurrbarts. An den Wangen der Kauf aber zu teuer, zu geführlich erscheine. Der Junge
schwarze Mitesser, entzündete, rote Stellen, kleine Narben. schimpfte über ihre Unredlichkeit. Wenn sie erst zugestimmt
Das Weiße der dunklen Augen blutunterlaufen, im Blick hätte, mi.ißte sie jetzt auch kaufen.
eine verschwommene Starre. Dieser Junge erinnerte Irene Die Sonne verschwand allmählich, es wurde noch kdlter.
an einen Friedhof in üsküdar, auf dem kleinasiatischen Teil Sie erklärte, daß sie ihr Geld brauche, da sie mit einem Taxi
Istanbuls. Dort zwischen umgekippten Grabsteinen, Sträu- zum Flughafen müsse.
chern und Disteln trafen sie und ihre älteren Freunde auf ,;Du findest kein Taxi ohne mich."
drei Knaben. Die rauchten unter den herabhängendenZwei- ,,Doch, dort im Zettrum gibt es einen Taxistand." Sie
gen eines Nadelbaums. Ihre Gesichter, wenn auch jünger, deutete aufs Geratewohl in eine Richtung. Der Junge wies
ähnelten dem des marokkanischen Jungen. Sie boten Iräne in eine andere, dort gäbe es Taxis. Irene bat ihn, daß er sie
von ihrer Pfeife an, und sie war das erste Mal bekifft. Ob es hinführen möge. Sie solle erst kaufen. Sie werde kaufen,
damals gewirkt hatte, daran konnte sie sich nur ungenau er- wenn sie dort seien. Nein, erst das Geschäft. Sie ging ein-
innern. Die Sterne hatten wohl etwas silberner geleuchtet, fach weiter. Sie gerieten in eine Gegend, in der die Gassen
und sie hatte begonnen zu erahnen, warum das Marmara- wieder schmal, zum Teil überdacht waren. Kleine Lichter,
meer Marmarameer genannt wurde. viel Gedränge, der Junge aufSchritt undTritt an ihrer Seite.
Jetzt, als der Junge sie auf den Stoff ansprach, kam ihr Sie werde nie ein Taxi finden, werde ohne seine Hilfe hier
das wie eine Bertihrung vor. Sie rauchte gercr, zuwei.et zu überhaupt nicht herausfinden. Irene wußte nur, daß der
gern. Sie nahm dann ein Buch von Burroughs oder Bowles, Taxistaad an einem Ende des Basars lag. Aber wo? Sie hatte
stieg an irgendeiner Stelle aus und begab sich in die Welt, das Gefütrl, daß sie im Kreise liefen. Alle zwanzigMeter gab
die von ihrer Phantasie weitergesponnen wurde. es Seitengassen, Weggabelungen. Er wies mal rechts, mal
,,How much?" fragte der Junge und holte Irene aus ihren links. Irene folgte mal seinem Rat, mal ihrer Eingebung. Er
Erinnerungen. Ein zähes und mühseliges Gespräch begann. sprach von Polizei und daß sie viele Jahre im Gefängnis ver-
Das lag einerseits an mangelnden Sprachkenntnissen. Irene bringen werde. Er sei ja ein schöner Freund, er drohe ihr
sprach kein Wort Arabisch, der Junge hatte außer einigen mit Polizei. Pfui! Sie sei noch viel übler, sie halte ihr Ver-
stereotypen Redewendungen nicht viel Englisch drauf. Und sprechen nicht, drücke sich vor dem Kauf.
es war ihr auch nicht danach,hier etwas zu kaufen. Sie woll- Wie gem hätte Irene losgelegt, daß er doch den totalen
te jemand treffen, wußte aber nicht wen. Sie suchte etwas, Knick in der Optik hätte, und nun solle er sie endlich in
ohne zu wissen was. Sie hatte genickt, weil sie einen Berifü- Ruhe lassen. Es war dunkel, die Umgebung unkenntlich und
rungspunkt entdeckt hatte. duster, er brauchte den Leuten nur etwas zu erzählen, und
sie hätte sich ohne Sprache nicht wehren können. Sie bog
in eine Gasse, in der man mit ausgebreiteten Armen die
Mauern berühren konnte. Ein altes Weib kam entgegen, da-
nach gab es nur Geräusche. Der Junge packte sie an den
Schultem und drückte ihren schlanken Körper gegen die
Wand. Seinem Griff fehlte jede Annäherung. Sie stieß ihn
zurück. Es waren Gebärden. Blutloses Pressen. Verärgerte
Abwehr. Kein Funke, keine Berührung, nichts drang aus
dem einen in den anderen.
Sie hatte wenig Angst, sie war verzweifelt. Sie betrachte-
te sich mit seinen Augen. Eine dumme Touristin, die sich
einen Flug leisten kann, die bloß gekommen ist, um mit
k********J wollen. Ein Mann kam, sie sprach ihn an, auch der Junge
ihrem Reichtum zu prahlen, ohne ihm etwas abgeben zu
sagte etwas, und der Mann ging kopfschüttelnd weiter. Sie
:*r*nAl§; wünschte, er hätte sie mit ihren Augen sehen wollen: ,,Ich
habe nichts gegen dich. Das mit dem Haschisch tut mir
leid. Ich wollte erzählen, jemanden kennenlemen. Das war
Der Junge nannte einen horrenden Preis, fiir den es zu alles. Und nun muß ich in der nächsten Stunde ein Taxi
Hause die doppelte Menge zu kaufen gab. Trotz RD-Gefah- finden." Laufen wollte sie nicht, das wäre Angst gewesen.
renzulage. Sie sagte, daß sie wenig Geld habe, daß sie eigent- Betteln wollte sie nicht, das wäre Schwäche gewesen. Er
lich gar nicht kaufen wolle. Er ging mit dem Preis herunter. betrachtete sich mit ihren Augen. Ein heruntergekommener
Er war noch immer lachhaft hoch. Sie winkte lachend ab. Streicher voll Lug und Trug und Tücke. Er wlinschte, sie
Er ließ nicht locker. Sie schritt weiter, er lief neben ihr her. hätte ihn mit seinen Augen sehen wollen: ,,Wozu bist du
Sie versuchte <ias Gespräch auf andere Themen zu lenken. mit deiner Ausweglosigkeit gerade hierher gekommen? Was
Sie fror, fröstelte fiebrig, spürte wieder leichte Stiche. Ihre soll das mit dem Erzdhlen und Kennenlernen? Ich habe noch
Lippen färbten sich blau. Er kam nachzwei Sätzen wieder nie jemand getroffen, der außer Geschäft und blödem Um-
auf den Handel zu sprechen. Sie könnten zum Hotel, dort hergeglotze etwas Anderes im Sinn gehabt hätte."
hätte sie bestimmt mehr Geld. Daß sie kein Hotel habe, Irene ging von Gasse zu Gasse, schnatterte vor Kälte, die
wollte er ihr nicht glauben. Sie zogen kreuz und quer, Irene Binde war durchnäßt. Er trottete neben ihr her.
hatte die Orientierung vollkommen verloren. Ich bin dieser Junge, dachte sie. Im Lichtkegel einer
,,Du bist Freund. Ich gebe Freundschaftspreis. Bester schwachen Funzel hielt ihr ein alter, gebückter Mann eine
Stoff. Heißt dubble zero." Er zog mit den Fingem seine rötlich-goldene Schlange entgegen. Ihr Kopf war klein, und
Tränensäcke herunter, um zu demonstrieren, wie wegge- sie mußte dabei an einen zum Kuß geformten Mund denken.
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