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Jan Kercuac und mich damit von meiner Kellnerinnenkarriere erlöst, wo-
für ich ihr wahrscheinlich ewig dankbar sein werde. Jeden
Morgen um zehn vor sechs machten Maggie und ich uns auf
die Beine und fuhren, mit den dreckverklumpten Stiefeln
auf dem Armaturenbrett der dicken schwarzen Matilda zur
GE]ÜSUDE]T wir eine kurze Kaffeepause, gaben die tollsten Lügen zum
Rennbahn. An der Fernfahrerstation Ly and Bragg machten
Besten und strunzten im breiten Slang des Südens von einer
imaginären Farm in Kentucky, ehe wir in einer Wolke von
Diffuses rötliches Licht drang durch die besctrlagenen Fen- Abgasen und Staub der aufgehenden Sonne entgegenstoben.
sterscheiben meines Zimmers auf dem Apodaca Hill. Es Maggie arbeitete im Stall nebenan und hatte Zeit gemtg, { o
war der letzte Tag der Rennsaison. Eigentlich hätte ich gar mir alles beizubringen, was man über Pferde wissen muß - U)
nicht mehr hingehen brauchen, aber trotzdem wollte ich wie man sie beschlägt, vor einern Rennen ihre Nüstern mit o
ihnen den Gefallen tun. Ich mochte die Arbeit mit den Pfer- Vick bestreicht, damit sie leichter atmen können, ihre Fes- l-
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den und irgendwie tat es mir leid, damit aufzuhören. Also seln bandagiert und alle möglichen anderen Sachen, von
o
wälzte ich mich aus den lavendelfarbenen Nylonlaken, zog denen ich als New Yorker Großstadtkind keine Ahnung hat- G
mich auf dem kalten Holzfußboden an und zwängte mich in te. Ich bewunderte sie, wenn sie furchtlos unter den großen o
die schlammverkrusteten Cowboystiefel.
Draußen wartete Matilda, mein 55er Caddy, und grinste
mir aus der schwarzen Chromrüstung zu. Ich stieg ein und
wir rumpelten den Berg hinunter, kurvten durch die engen
Gassen von Santa Fd, vorbei an den Reihen von Lehmhäu-
sern, deren vigas wie Tootsie-Rolls-Stiele aus den Wänden
herausragten. Über dem Highway von Albuquerque, zwei-
tausendfünfhundert Meter über dem Meeresspiegel, ging
gerade der knallrote Mond am klaren Himmel unter. Die
sandigen Ufer der arroyos und die Schluchten, die sich
durch die mit Tannenzapfen übersäte Landschaft zoger,,e?
innerten irgendwie an Nordafrika - es fehlte eigentlich nur
noch das Meer. Die flimmernde Weite des Raums sirrte durch
die mesas in der Ferne und die roten Lehmfelsen. Diese At-
mosphäre von Neu-Mexiko mit ihren deutlich voneinander
abgesetzten Farbschattierungen, dunkeirot und blau, die in
violetten Dunst übergingen... ja, das war der einzige Ort im
Landesinneren, an dem ich das Meer vergessen konnte.
Als ich die Innenstadt von Santa FÖ erreichte, brach der
Tag an. Heute würde ich den Geräteraum aufräumen, Pfer-
decken falten,Wagen anspannen und dem Trainer bei seinen
Vorbereitungen für das Rennen in El Paso zur Hand gehen.
Aber vorerst waren noch ein paar Boxen auszumisten. Ich
kehrte das vollgepisste Stroh aus dem Stall und versuchte,
mir meine bevorstehende Reise auszumalen, wo ich Ganders
treffen wollte. Zuerst war mir das Ganze ja ziemlich unwirk-
lich vorgekommen, aber dann schickte er massenweise auf-
munternde Briefe, die sich eher als Überraschungspakete
oder Witzblätter entpuppten. Die ernsten Seiten von Gan-
ders würde ich erst später entdecken.
Es war Ende September, ein waffner Dunst 1ag in der
Luft. Ich hockte mich hin und rtihrte fiir die Pferde, die
nachmittags dran waren, eine süße Kleiemischung an. Sie
schwangen ihre langen braunen Hälse über die Boxengitter
und beobachteten mich ungeduldig. Nach ein paar Minuten
war der Stall nur noch ein einziges Durcheinander von stamp- Biestern herumturnte und mit ihren geschickten Händen die
fenden Hufen und Gewieher. Als letztes gab ich noch einen Beingelenke umknickte, als wären sie aus Gummi, aber nach
Schuß flüssiger Vitamine hinzu und genehmigte mir dabei kvzer Zeit konnte ich das a1les fast genauso gut.
auch selbst, wie jeden Morgen, einen ordentlichen Schluck Wehmütig dachte ich an die Tage zurück, wo wir zusam-
aus der Flasche. Dann hängte ich einem nach dem andern men ins Stadion gegangen waren, um unsere lächerlichen
einen Eimer um den Hals, und als aile friedlich vor sich hin Lohnschecks zu verwetten. Ich sah Maggie vor mir, schlank,
mampften, ließ auch der Lärm allmählich nach. Dies ist aber klein, und das goldene Haar glänzte wie Seide in der
das letzte Mal, daß ich sie füttern kann, dachte ich und Sonne. Wenn sie mich mit ihren eidechsengrünen Augen an-
saugte einen Schluck reines Quellwasser (für die Vollb.üter) grinste, konnte ich mir das Lachen einfach nicht verkneifen.
aus dem ausgefransten Ende des dicken grünen Schlauchs. Aber an diesem lelzten Tag konnte ich meine Erinnerungen
Meine Freundin Maggie Bells, die mich mit Ganders zu- nicht mehr mit ihr teilen, sie hatte nämlich schon einen Tag
sammengebracht hatte, hatte mir auch diesen Job verschafft eher als ich aufgehört.