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Daniel Dubbe
lSOlATlOil IIrl ELPASO
El Paso liegt im Südwesten von Texas an der Grenze zu Me_
xiko.
. Der Prediger, der mich von New Orleans mitgenommen
hatte, wollte dort fi.ir drei Tage Station machen, sich in ein
Zimmer einschließen und fasten. Danach wollte er rauskom-
men und vor der Gemeinde predigen. Ich stieg in einer Un-
terkunft ab, die mit dem unerwarteten Namen ,,Linden_
hotel" plötzlich auf mich zugekommen war, und bekam fi.ir
zehn Dollar eines der beiden Zimmer in der Beletage nach
Süden. In den beiden breiten Betten und auf deiCouch
ware Pl,atz fiir ein halbes Dutzend Gäste gewesen. Ich nahm
das als gutes Omen liir die Pause, die ich auf meiner Reise
einlegen wollte. Wenn ich im Bad das Licht anknipste,ver-
schwanden schnelle, schwarze Käfer hinter dem Waschbek-
ken und im Teppich. Um die Wanne hing ein roter plastik-
vorhang, der unten grau angelaufen war. Das Hotel hatte
bessere Zeiten gesehen, ebenso wie die Literatur. In einer
dieser schnellen Schaltungen, die das Him automatisch her-
stellt, sah ich mich unter den alten Männem, die im dunk-
len Fernsehraum neben dem Empfang hockten.
Beim Abschied in einer der flachen Siedlungen am Ran-
de der Stadt, wo seine Gemeinde lag, hatte der prediger
meine Hand ergriffen und mit gesenktem Nacken vo, mi,
stehend gebetet, daß mir auf meinem zukünftigen Weg der
LORD begegnen möge. Es handelte sich, wie ich jetzt aus
dem Abstand annehme, um eine konventionelle Geite, aber
auf mich verfehlte sie ihre Wirkung nicht. Sie schien mir
aus einem aufrichtigen Herzen zu kommen. Ich glaubte nicht
an Gott, aber die Geste gefiel mir besser als alle Gesten de-
rer, die auch nicht an Gott glaubten. Ich hatte keinen Lord,
zu dem ich Kontakt aufnehmen konnte, aber auch meine
Gedanken schweiften in der Zurückgezogenheit zu femlie-
genden Dingen - und würde nicht auch ich hinausgehen
und predigen? War nicht das Buch eine predigt, und diJTage
im Hotelzimmer eine der vielen Vorbereitungen darauf?
Abends fuhr ich mit dem dunkelhäutigen portier, der
einige Jahre in Frankfurt/Main gelebt hatte, über die Grenze
nach Juarez. Im Schatten der Häuser lauemde Gestalten,
bedrohlich, aber dann doch bloß beschäftigungslos abwar-
tend. Die Tore zu einem Sportpalast standen weit offen.
Die Ränge um den noch leeren Ring füllten sich schon. Ich
bewunderte die jungen Männer, die in den Ring klettem
würden und, vorwärtsgetrieben gegen das Fleisch und die
Knochen ihres Gegners, sich vergaßen und nur WILLE wa-
ren. Auf die Seitenwände der Halle waren Faustkämpfer
gemalt. Ich sah Götter in ihnen. Das Volk lebte in Armut,
aber immer wieder gingen junge Männer aus ihm hervor mit
scheinbar unvergänglichen, glatten Körpem. Es war etwas
wie Flucht darin, aber auch ein endgiiltiger Aufstand gegen
das Schicksal.
Der Rio Grande ist an dieser Stelle ein schmales, einbe-
toniertes Rinnsal.
Die Bettler auf der Brücke nach El paso hoben durch ihr
Nichts, das nicht zu den europdischen Erfahrungen gehört,
die Götter erst hervor. In Europa felrlt die Spannung, ohne
die Götter nicht erscheiten. lüie armselig, dachte ich, ist es
ohne sie zu leben! Es gab niemand, der mir das Quellwasser
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