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I Hans Kern
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Mit fünf Jahren schnitt er sich an der gerade erst an' eines Tages ausrß und sich hundert Kilometer von
geschafften Brotschneidemaschine den linken Dau' zuhause weg in München mit Mundharmonikaspie'
men ab. Das blutete sehr. Aber er bß die Zähne ru' len durchbringen mußte, lief ihm, ein junger Ameri-
sammen, so fest er nur konnte, und unterdrückte die kaner über den Weg. Und dieser Ami war schon ein
Tränen. In diesem Fall war er sehr tapfer' Ding: er war auf Weltreise, erzählte der. Er hate sich
Mit sechs wurde er von seiner Mutter in der Küche in Südamerika rumgetrieben, bevor er nach Europa
beim Wichsen erwischt. Sie wurde durch seine Wich' geflogen sei. [n Yucatän hatte er in einem billigen
serei sehr verunsichert und drohte, daß sie ihm das Hotel gewohnt. Da war er zum Pilzesammeln gegan'
..Dinq" abschneiden würde, wenn er ,,es" nochmal gen und er kannte sich aus mit den dortigen lilzen
probieren sollte. Er lachte, kletterte auf den Kühl- ünd dann hatte er den Typen, die er in dem Hotel
ichrank, auf dem die Brotschneidemaschine stand, kennengelernt hatte - alle sojung wie er - aus dem
holte sein Ding heraus, legte sich quer hin und alle Zeug en Gericht gekocht und es ihnen vorgesetzt
Anzeichendeuietendaraufhin, daß er das nun selbst und alle hätten es gegessen und am Sctrluß wären sie
besorgen wollte. Er fragte noch: ,,So?", aber da hat' total high gewesen - Höchststimmung! Dieser
te seine Mutter schon ihren Schock überwunden, Amerikaner nun sah so aus, als wäre er tatsäctrlich
sprang zum Ki.itrlschrank, packte ihn und rß ihn von schon um die halbe Welt gereist: die Schuhe hatten
der unseligen Maschine fort - bewahrte ihn vor kein Profil mehr, der lederne Hut war verdreckt, das
einer wahischeinlich sehr schmerzhaften Selbst- T-Shirt war fleckig, die Hose um die Hä1fte gekürzt,
kastration. Hatte er sich ein zweites Mal - dieses sein Bart lang und sein Gesicht ausgezehrt. Und er
Mal bewußt - selbst beschädigen wollen? Oder war sagte: I'll kill you!, und zog sein Messer. Aber es war
es nur ein makabrer Spaß seinerseits, inszeniert, um ja nur ein Witz. Verrückt war der Ami schon: er war
seiner Mutter ein flir allemal das Einflußnehmen auf jetzt ein Dreivierteljahr allein auf Weltreise. Da
sein Wichsen abzugewöhnen? Wenn sie ihn später mußte man ja ausflippen.
dann beim Wichsen antraf, bekam sie nattirlichjedes' Diese Begegnung beeindruckte ihn dermaßen, daß er
mal einen Schrecken - Mütter sind nun mal so - , überlegte, ob er wohl wieder heimfahren sollte. Er
aber nie wieder drohte sie, ihm das ,,Ding" wegzv' wollte nicht so werden wie der Ami, das sah er plötz-
schneiden. Sie traute sich kaum noch, ihm zu sagen, lich garu klar: er wollte nicht zum Witzbold und
daß er ,,es" doch bleiben lassen sollte, zumindest in auch nicht zu einem ausgeflippten Irren werden!
ihrer Nähe. Der Schrecken, daß ihr einziges Kind Deshalb mußte er nachhause zurückkehren, was er
sich einmal auf eine ihrer diesbezüglichen Bemer- auch tat. Der Vater, ein ehemaliger Nazi, schmierte
kungen hin selbst hatte kastrieren wollen,.saß z_u tief ihm gleich eine, die Mutter fing von den Nachbarn
und-hemmte sie in der Durchsetzung füres Erzie' an und was die sich wohl jetzt dachten über sie, er
hungsideals: sie wollte ihn zu einem sauberen Men- versuchte nachzudenken, was ihm aber angesichts
schen erziehen. So verbrachte er also eine glückliche des Wahnsinns, der ihn umgab, nicht gelang. Er hau-
was er wollte' te sich ins Bett.
Kindheit, konnte tun und tassen,
Die Probleme kamen dann in der Pubertät. Als er Am nächsten.Tag gng er wieder zur Schule und sei-
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