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ne Klassenkameraden hielten ihn für einen Hund. und Nacht verfolgte und langweilte: die Jagd aut
Von nun an versuchte er's auf die ganz coole Tour. imaginäre Ratten. Ein Vierteljahr sann er darüber
Er ging zum Scheßhaus, zog sich eine Packung billi- nach, wie er imaginäre Ratten produzieren sollte.
ger Pariser, ging dann wieder aufseinen Platz in dem Dann kam er auf die ldee, nicht mehr zu schlafen
Schüler- und Sportlerwirtshaus zurück und versuchte, und nicht mehr zu essen. Er verwirklichte diese Idee.
einen Pariser in der Öffentlichkeit aufzublasen. Da Da seine Eltern fiir einige Tage das Haus verließen,
auch Mädchen anwesend waren, fielen einige seiner fiel es niemandem auf. Nach 76 Stunden sah er die
Kameraden vor Lachen unter den Tisch, er aber er- erste Ratte. Sie kroch an der Decke entlang. Nun
hielt Lokalverbot. Seine Eltern erfuhren von dem machte er sich auf die Jagd nach der Ratte. Und
Vorfall und er bekam von seinem Vater eine ge- nebenher produzierte er laufend neue Ratten. Da
schmiert und die Mutter klagte darüber, was denn er sie immer dann nicht mehr sah, wenn er glaubte,
nun die Lehrer wohl denken mochten über sie. Er sie gefangen zu haben, und darüber enttäuscht war,
dachte: zuhause werde ich ernstgenommen, denn da keinen Erfolg seiner Bemühungen - nämlich tote
lacht niemand über mich, von meinen Klassenkame- Ratten - zu sehen, kam er auf die Idee, imaginäres
raden nicht, die lachen sich über mich kaputt. Welch Rattengift zu produzieren. Das gblang. Die Ratten
gutes Zuhause ich nur habe! Und er legte sich in sein vermefuten sich zufülligerweise gerade wahnsinnig
Bett. und fielen in solchen Mengen auf das Gift herein
Nun, die Lehrer taten so, als wüßten sie nichts von und zu Boden, daß ihm schwindlig wurde und er
der Geschichte mit dem Pariser, obwohl sich das na- sich schlafen legte. Als er aufwachte, waren seine El-
türlich. besonden in ihren Kreisen recht schnell her- tern schon zurück und ein zweites Vierteljahr ver-
umsprach, fühlten sie sich doch als Hüter und Wah- brachte er in der Hoffnung, daß seine Eltern wieder
rer der Moral der Jugend und waren darum besonders einmal fortfahren würden. Das taten die aber nicht.
geil auf unmoralische Stories. Er war jetzt der Größte Er war in dieser Zeit zierrthch apathisch und wollte
bei seinen Mitschillem und wollte gern mal Partner- nur noch eines: tote Ratten sehen.
tausch machen. So suchte er sich seine erste Freun- Er überwand diese pubertäre4 Auswüchse, abernicht
din - zum Tauschen ist ja immer erst ein Tausch. aus eigener Kraft: ein neues Schuljahr hatte begon-
objekt Voraussetzung. Die war aber so frigid, daß er nen und die Androhung auf Entlassung galt nicht
sie sausen ließ, als ihn gerade einmal der gerechte mehr. In die nächsthöhere Klasse hatte er trotz sei-
Zorn überkarn Dann ging er in das Wirtshaus und ner Lethargie kommen können, weil er ziemlich in-
fragte den Wirt, wie lange das Lokalverbot noch gel- telligent war, außerdem hatte er mehr Glück als Ver-
ten würde. Der sagte: ein halbes Jahr. Er bedankte stand. An dem Tag, an dem er beschloß, die Ratten
sich höflich für die Auskunft und beschloß, sich ein zu vergessen, mußte er ausgerechnet wieder daran
Mofa kaufen zu lassen. Er wartete einen Monat, den denken, wie er seinen linken Daumen verloren hatte.
er absolut tatenlos zubrachte und fragte seinen Va- Da kam ihm die ldee, sich politisch zu engagieren.
ter, als der gerade mal guter Laune war, ob er ihm Er besorgte sich eine Schere und stachdenPolitikern
ein Mofa kaufen würde. Der Vater kaufte ihm das der CSU in die Augen, wenn er sie von Wahlplakaten
Mofa. Er fuhr von jetzt ab - das hatte den Vorteil, herunterglotzen sah. Es war ja gerade Wahl. Er be-
daß er nicht mehr gehen mußte, und den Nachteil, suchte auch einige Veranstaltungen politischer Na-
daß er eine absolut lächerliche Figur auf dem Mofa tur, mit dem Ergebnis, daß er dort ein Mädchen ken-
abgab. Er wollte aber auf keinen Fall zur Belusti. nenlernte, das wie er auf Partnertausch geil war.
gung der anderen dienen und er sann auf Abhilfe. Und sie wurde seine Freundin. Nun begann die
Da sein Gehirn den Dienst verweigerte, als er sich Suche nach einem anderen Paar, das dasselbe wollte.
vorstellte, er so[te all die Wege, die er gehen mußte, Diese Suche gab er aber bald auf, weil er sah, daß er
wieder zu Fuß zurücklegen, denn das war die etnzige für einen Spinner gehalten wurde. Er wollte aber
reale Alternative, blieb es beim Mofafahren. nicht als Spinner gelten. Nun mußte er sich also auf
Nun war in der Schule ein Filmclub gegründet wor- den Gesctrlechtsverkehr mit der eigenen Freundin
den, eine Kamera war vorhanden und es wurden beschränken. Das artete dann langsam zu einer ein-
Schauspieler fiir einen noch zu drehenden Film un zigen Perversion aus.
gewissen Inhalts gesucht. Er meldete sich. Da kann Dä er aber noch nicht ganz im Arsch war, verfolgte
ich den Leuten endlich beweisen, daß ich kein Spin- ihn immer noch etwas, nämlich die Unterdrückung
ner bin, dachte er. Leider entsprang aus dem Unter. durch seine Eltern, was ihm insofern gut bekam, als
nehmen nichts Gutes, sondern ein anarchistisches, er sich im allgemeinen nicht selbst unterdrücken
geschmackloses, provokatives Machwerk. Nach der mußte. Eines Tages nun stellte er fest, daß er sein
Vorführung vor versarnmelter, vorher feierlicher, ganzes Leben auf einen Trugschluß aufgebaut hatte:
nachher entzückter, lachender §chülerschaft, nach- er glaubte, daß seine Eltern ihn ernst nahmen! Sie
her zensierender Lehrerschaft, wurde allen Betei- nahmen ihn ja gar nicht ernst - sie unterdrückten
ligten am Film ernsthaft der Hinauswurf aus der ihn ja! Hielten ihn fi.ir unmündig! Und da es gerade
Schule angedroht, insbesondere ihrq da er auch Nacht und er betrunken war, beschloß er, sich zu
schon früher unangenehm aufgefallen war. wehren: Er zerschlug mit einem Eisensti.ick, das er
Da er ein guter Sportler war - er war der schnell- in einem Hinterhof fand, einen Kaugummiautoma-
ste L'äufer an seiner Schule -, steckte er die Schel- ten. Die Bewohner des Hauses, an dem der Kaugum-
le, die sein Vater ihm verpaßte, ein ohne mit der miautomat hing, verständigten die Polizei, aber er
Wimper zu zucken. Die Mutter sagte: da haben wir hatte Glück und konnte seinen Freunden und Hel-
es, Er dachte: meine Mitschtiler haben immer, wenn fern entkommen.
ich auf der Leinwand erschien, gelacht. Die Lehrer Er glaubte an garnichts mehr. Auch stellte er fest,
nicht. So werde ich also außer von meinen Eltem daß es bergab ging mit ihm: er wurde älter, als er
auch noch durch meine Lehrer ernstgenornmen. werden wollte. Deshalb beschränkte er sich von nun
Weil er §ich nun etwas hüten wollte vor neuen Lächer- an darauf, die Schule hinter sich zu bringen. Als er
lichkeiten, suchte er sich ein Hobby, das ihn Tag das geschafft hatte, gab er eine Kontaktanzeige in
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