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nämlich,  worüber ich sinnieren soll, wenn ich über mich  Meine Entgleisung  bedeutet  für natürlich nichts, sie ftihrt
               nachdenken will. Worum  ich mich bemifüe, d.h. ein diese  ja auf genügend  Zigen gleichzeitig.  Und wenn auch mal zwei
                Zeilen verfolgendes  Etwas sich bemtiht herauszufinden,  was  oder zehn oder zehntausend  dieser Züge, dieser Fafuzeuge
                sein wirkliches Ich ist. So ein letzter Rest, der übrig bleiben  kollidieren  scheiß  drauf, was soll's!?
                könnte, wenn man al1es abzieht,  was einmal in dem allge-  Doch bewegt sich der technische Fortschritt dummer-
                meinen  Matsch aufgeht.                             weise in eine Richtung, die immer größere Kollisionen er-
                  Zum Beispiel ein APFELkem. Daraus kann ein APFEL-  möglicht. So daß immer mehr Ziirge auf einmal explodieren
                baum werden. Im Frütrling  sprießen  Blätter, im Herbst fal-  können. Auch  pilzförmig.  Und auf der Strecke bleiben.  Es
                len sie zu Boden. Seit Jahrmilliarden.  Ziemlich  eintönig  auf  kann  sogar die Situation eintreten,  daß es zu einer riesigen
                die Dauer. Den Baum kann  man verheizen,  die APFEL  auf-  Kollaps-Kollision  kommt, wo mit einem Male sämtliche
                essen. Wenn  man einen Kem übrig 1äßt, kann daraus  wieder  Fahrzeuge  aufeinanderprallen,  detonieren und qualmend
                ein Baum wachsen.                                   verrecken,  ausgebrannt liegenbleiben.
                  Und verdammt,  was ist dieses Wachsen, dieses Werden?  Dann ist es aus mit der Fahrerei. Nichts  geht mehr. Das
                Es ist natürlich eingebettet in Kern, Holz, Blättem,  Früch-  Spiel ist aus. Und das  -   meint sie  -  wär doch  sehr  schade,
                ten und kann ohne sie, ohne ihre Manifestation, nicht funk-  da das Herumfahren so toll sei.
                tionieren. Andererseits,  wenn ich ein Blatt, einen Ast abrei-  Ich kann mich des Gefütrls nicht erwehren,  daß sie mich
                ße, wird daraus nichts  APFELiges mehr. Die Teile zerfallen  gelegentlich darum  bittet,  doch beim Lenken  etwas  aufzu-
                und gehen in verschiedene Stoffe  über.             pilssen. Und auqh anderen  Fahrzeugen  ein gewisses Maß an
                  Wenn ich also von einem APFELbaum  alles abziehe, was  Verkehrssicherheit ans Herz zu legen.
                schön, bunt, duftend, schmackhaft, verheizbar  usw. ist,  Und ich muß gestehen, daß mir das imponiert. Daß ich
                bleibt da noch etwas, das sich im Herbst in den Kernen  kon-  nicht bloßes Vehikel bin, bei dem es scheißegal  ist, wo es
                zentiert,  aber auch überall im Baum vorhanden  ist, solange  umkippt und verrostet.  Daß ich ein wenig mitspielen  darf.
                ilrr nicht die Säge oder die Altersschwäche  hinwegrafft.  Es  Natürlich wird sie mich treulos verlassen,  die Schlampe.
                bleibt da eine Fähigkeit zu wachsen, zu werden.     Und  es ist himverbrannt, mir HotTnungen  zu machen,  ein
                  Und obwohl eine Menge Dinge wie Luft, Sonne, Boden,  weiteres Stück  des Weges benutzt zu werden, nur weil ich
                Bienen, Wind und  Wasser wichtig sind, damit so ein Baum
                wird, wächst, ist;sind  Licht, COz, Mineralstoffe  noch nicht
                dieses Wachsen  und Werden.  Sie werden nur vom  Wachsen,
                vom Werden in Anspruch genommen.
                  Die vielerlei  Gestaltungen,  Formen,  Farben,  Bewegun-
                gen, Handlungen, Instinkte,  Gefürhle,  Gedanken  sind Auße-
                rungen  dieses  Wachsens und Werdens.  Aber was ist das Wach-
                sen und Werden eines APFELbaums?  Und in mir?
                  Es ist schon faszinierend,  wie diese Filhigkeit  alle nötigen
                Sachen  sich aus ihrer  Umgebung beschafft, an sich reißt, um
                nach einer gewissen  ZeiI,  die Hunderte von Jahren oder nur
                wenige Stunden  dauern kann, wieder locker zu lassen,  da-
                mit alles von neuem  zerfiillt. Allerdings  bemilht sich diese
                Fähigkeit  in der Zwischenzeit  sehr sorgfültig darum,  sich ge-
                schickt in einem weiterfahrenden  Zug abzusetzen.  Zugum
                Zug. Und  sobald sie sich abgesetzt hat, mag die alte Hülle
                verrotten. Nach ihr die Sintflut. Sobald  derZug auf den wei-
                terfahrenden Zug geschafft ist, kann der alte verrotten.
                  Einzig interessant  ist die Fahrt, das Weiterkommen. Der
                Zug ist nur Beförderungsmittel,  ebenso wie der APFEL-
                baum,  wie ich.
                  Aber noch bin ich Zug wd an Zug, bin APFELbaum,
                bin Träger dieser Fähigkeit, bin Heizer, Lokfiihrer,  Chauf-
                feur, Pilot, Astronaut.
                  Ich kann an ihr teilhaben,  sie auskosten,  den Fahrtwind  versuche, mit meiner  Fahrweise Einfluß zu nehmen, um eine
                spüren  -  ich kann dieser Fähigkeit sogar den Garaus machen.  Kollaps-Kollision  zu vermeiden. Was im übrigen sehr vielen
                Allerdings ist sie zu vorsichtig, um ihr Fortbestehen  nur  Fahrzeughaltern  an verkehrstechnisch  wichtigen  Schaltstel-
                einem APFELbaum,  einem Zug, einer Weltraumrakete, nur  len wie Militär,  Atomindustrie, höhere Politik, Geldumlauf
                einem Blödmann  wie mh zu überlassen. Sie zieht es vor, in  furzegal zu sein scheint.
                unzdhli gen Bäumen,  Zigen, Typen dahinzufahren.       Aber ich habe nun mal sie, diese  hübsche kleine Person,
                   Und auch ich habe  sie.                          die mit mir herumkutschiert, der das Karusselfahren so
                  Warum soll ich sie nicht herumkutschieren?  Sie tut mir  Spaß macht, daß ihre Augen  dabei leuchten, ihr Gesicht Ver-
                nichts, außer daß sie weiter will. Wohin, hat sie mir noch  gnügen  ausstrahlt und sie entzückt  aufjuchzt, wenn der Fahrt-
                nicht verraten. Aber immerhin gewährt sie mir recht  inter-  wind ihre blonden  Haare kräuselt. Na, und das freut mich,
                essante Ausblicke auf die nähere  und weitere Umgebung.  und ich frage  mich, warum ich ihr diesen  Gefallen  nicht tun
                  Ja, manchmal bilde ich mir ein, daß sie auf mich nicht  soll. Warum nicht? Sie will ja bloß ein bißchen  herumfahren,
                nur als Fahruntersatz  angewiesen  ist. Manchmal  glaube  ich,  und wir haben  uns auch schon ganz gut aneinander gewöhnt.
                daß sie mich  -  wie soll ich's sagen?  -  gem hat. Daß sie mich  Ich weiß gar nicht, habe  ich jetzt eigentlich über mich nach-
                um etwas  bittet.                                   gedacht?


                                                                                                                   JJ
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