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LUZI RAGETH                 Angefangen haben die Bahnreisen  vor einem Jahr. Ein
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                                                              Mark. Ich war bis dahin noch nie in der BRD gewesen und
                                     /i/ill,/i0ll             wenn, dann nur so unbewußt wie die kleinen Kinder  an der
                                                              Hand  ihrer größeren  Geschwister  oder Eltern. Michel,  bay-
                                                              rischer  Quadratschädel,  einsdreiundfünfzig  und,,nichts  ist
         Ich sitze im fahrenden  Ztg, ein leichtes  Vibrieren,  das rhyth-  vorbei  was nicht schneller  ist als wir"  -  und ich pendelten
         mische  Tlak-Tlak-T1ak  wenn der Ztg über die Schwellen  einen  Monat  lang zwischen  Hamburg, Düsseldorf  und Köln
         schlägt,  dieses unverkennbare  Pfeifen und Rauschen, das in  rauf und runter.  (Die folgenden Aufzeichnungen  stammen
         den Tunnels  und bei offenem Fenster unerträglich wird.  aus  dieser  Zeit.)
            Meistens  habe ich Glück  und erwische einen Fensterplatz,
         möglichst in Fahrtrichtung. Der Sitz gegenüber auch frei.
                                                              Die Stille                       3.10.80   -  3.11.80
         Ich halte einen Fuß auf dem kleinen Sims der Heizung  und
         lehne mich zurück oder beuge mich über das auf dem Eß-  Unter der Eisenbahnbrücke  war sie eben noch da. Jetzt die-
         tablett aufgeschlagene Buch. Neben  mir ein paar  Eßwaren,  ses Dröhnen und Donnem.  Herzklopfen.  Beklemmung. Ihr
         Coladosen,  Sandwiches,  etc. Somit wäre die eine Hälfte  des  zartrosa Fleisch  in Köln. Der strotzende Dom und die wis-
         Sechserabteils belegt, die zweite bleibt  dann auch  meistens  pernden  Besucher. Wölfchen schläft.  Rheintouristik.  Das
         frei. Kommt  es vor, daß andere  Fahrgäste zusteigen,  treibe  Schiff dreht sich, dreißig  Minuten  sind um. Gefaltete  Hände,
         ich meine Trägheit im Platzfreigeben  bis z1ß Grcflze der Un-  die Haare nach hinten, Hüte, Sonnenbrillen.  Eine lärmende
         höflichkeit. Das enpart mir die so verhaßten  Reisebekannt-  Schulklasse und trotzdem:  Stille, innere Ruhe. Ich bin ein-
         schaften, denn auf Zugreisen  gehe ich am liebsten  alleine  fach  da. Es fehlt fast jeder Antrieb. Der Sturm kann warten.
         und möchte das dann  auch bleiben. Es ist ein betörendes  Später  das Essen.  Im Hintergrund  für alle beruhigend  die
         Gefiihl,  gebunden  an diese Tonnen durch die sich stetig  ver-  sechziger  Jahre, immer wieder in die Sinne  eingeschleuste
         ändernde  Landschaft zu jagen. Yon Zeit zu Zeit hinaus-  Stille,  Ruhe,  Zufriedenheit.  Keine Sorgen.
         sehend, und wenn es dunkel  ist, im Schwarz  die fernen  Stille, als wäre man Frührentner  mit leerem Blick in die
         Lichter suchen und dabei immer das eigene Gesicht vor  Zukunft,  die trotz allem voller Wünsche  ist.
         sich zu haben,  das sich in der Scheibe spiegelt.      Bezatrlbare  Wtinsche,  die schnell erledigt werden.  Und
           In solchen  Momenten gibt es keine  Einsamkeit. Ich fiihle  das Gehirn immer mit Bier bei der Stange  halten.  Wir wol-
         mich wohl, ja sogar geborgen. Ein Gefthl,  das sich noch ver-  len schließlich  überleben?
         stärkt, wenn der Regen an die Fenster schlägt.  Immer wie-  Gehen?  Na dann eben  noch nicht.
         der mache ich den Fehler,  mich im Speisewagen  vom    Michel will seine  Zigarette  fertigrauchen.
         schlechten  Essen und miesen  Bedienungspersonal  bis zur  Mir graut vor München.  Das Rauschen  des Waldes im
         Magenübenäuerung aufregen zu lassen. Später nehme ich  ,,Blow-up"  in den Ohren.  Schauder bei der Erinnerung  an
         mir dann immer vor, in Zukunft  die Nerven zu behalten.  das Donnern unter der Eisenbahnbrücke  beim Gedanken  an
         Vielleicht  ist es die Erinnerung  an eine schöne  Fahrt in ei-  München.
         nem alten mit grünem Samt  ausgelegten Speisewagen der  A Ruah is jetzt.
         rhätischen Bahn (St. Moritz  -   Chur),während  der ich nach  Dieses  Mädchen in Köln, eine Vibration  die stimmte, nur
         der Aufregung ein beruhigendes Gespräch  mit einem Freund  vier Stunden lang. Stille. Fieber und Ruhe  im Seidenglanz
         gefiihrt  habe. Seither  renne ich jedesmal,  wenn ich dem Pfeil  ihrer Augen  und um den spitzen Mund herum.  Die zarten
         mit gekreuztem Eßbesteck  nachgehe, dieser Erinnerung  Finger. Die Wärme ihrer Haut. Die schmale Hüfte,  der war-
         hinterher...                                        me Bauch.  Stille. Michels Mtinchner  Spruch  aus dem Neben-
           Meistens  genügt schon ein längerer  Aufenthalt in der  zimmer  und ich spritze  grade ab. Stille um mich herum.
         Waschkabine  neben der Toilette.  Rasieren, Pickel ausdrük-  Die Suppe  war kalt.
         ken, verwachsene  Haare mit der Pinzette  aus der rot ent-  Ich habe nichts, um den Pfeffer mit dem Tomatensaft zu
         zündeten  Haut ziehen. Dann die Haut mit After  Shave und  mischen. Ich bin hungrig und mir ist zum Kotzen. Endlich
         Toilettenwasser abreiben.  Zähneputzen, den Mund mit  wieder in Hamburg.  Das Essen war gut. Ich bestelle noch ei-
         einem  Schluck  Cola spülen.                        nen Espresso.  Es ist nicht Trauer um sie, sondem nur,  daß
           Bei der Rückkehr  ins Abteil belustigen sich die anderen  so etwas überhaupt  möglich ist. Da quatschen sie schon wie-
         Reisenden  über meinen leicht penetranten Geruch.  Ich mag  der über Geld. Nur billige Sorgen.  Glück umschmiert  mich
         sie wirklich nicht, ihr Kichern, ihr Naserümpfen.  Gerade  im  hier in Deutschland. Alles wird zur Erfahrung.  Ich bin nie-
         Zugsitzen  wir alle im gleichen Boot.  Und gerade  da sind wir  mandem  böse. Es ist vorbei. In der Erinnerung das gute Ge-
         nicht alle gleich.                                  fiihl, von dem ich hoffe, daß es wiederkommen wird.
           Vom Gang  aus rein ins fliegende  Arbeitszimmer,  Schiebe-  Die Stille fehlt, weil der Alkohol  fehlt, aber  sie ist bereit
         tür zu und wieder  an mein Buch, denn Schreiben  ist Lesen  zu kommen,  wenn die Gedanken  sich von Pernod und Bier
         im fahrenden  Zug.                                  weg entfernen.
           Die Landschaften,  ,,Fahrkarten bitte!",  die Bahnhöfe,  Der Espresso  kommt. Kellner wirken idiotisch,  wenn  sie
         Gesichter der Reisenden,  die gedankliche  Verschnaufpause  dienern und trotzdem  ihre Würde  behalten  wollen.
         bei der Durchfahrt  durch kurze Tunnels,  alles fließt zwi-  Wie ich von ihr wegging. Kafka hatte recht mit dem
         schen die Zeilen und zieht sie wie kiebriges  Plastik auf den  Sclrluß  vom Urteil. ...in dem Moment ging ein geradezu
         Fußboden hinunter,  von wo ich erschreckt  durch ein un-  unendlicher Verkehrsstrom über die Brücke.
         definierbares  entferntes Geräusch, das kilometerweit  weg  Es war 3 Uhr 30 und ich wollte nach Hamburg.  Ich kann
         ist und sich nichts und niemandem  zuordnen läßt, aufblicke  da nicht zurück und ich will auch nicht. Mir wird schlecht
         und das leere Kopfpolster des Nachbarsitzes  sehe, das mich  dabei. Montag abend. Dieses häßliche  Sonntag-schon-fast-
         anstarrt.                                           Montag-Gefühl.

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