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Damals hofften die Kids, daß man ihnen endlich ei-
einen Billardsaal hinstellen würde, und an Freitag-
abenden lieferten sie sich erbitterte Kämpfe, mitten
$4ffi auf dem Higfrway, und blockierten meilenweit den
Verkehr. Keine Messer, keine Knarren, und keine
Fahrradketten. Nur mit den bloßen Fäusten. Nie-
mand war auf Blut aus. Nicht so wie in den großen
Städten im Süden. Zum Schwof am Diligent River
kamen sie in Massen, von überall her, und es kam zu
großen Schlägereien zwischen verfeindeten Ort-
$HEPAMU schaften, genau wie in den alten Tagen im El Monte
Legion Baseball-Stadion.
Langeweile war der große Killer. Keine Jobs, kein
Billardsaal, auf zehn Kerle kam eine Ische und die
war gewöhnlich auch noch häßlich, die Radiosta-
tionen waren mies, die Alten waren am Verrecken
oder ständig besoffen, die Kirche veranstaltete ei-
nen Basar nach dem anderen, einmal im Monat gabs
Tanz (aber keinen Rock 'n Roll), es gab eine einzi-
ge Jukebox, bei der nie die Platten ausgewechselt
wurden, die Winter waren eiskalt, meterhohe Schnee-
wehen, und die Sommer diesig und verregnet. Die
eiruige Abwechslung war, daß mal jemand einen Elch
oder einen Bären umnietete, aber das kam nur sel-
ten vor.
Dann kamen die Amerikaner. Erst nur ein paar, dann
ein ganzet Strom. KriegBdienstvenreigerer, Krimi-
nelle, Flüchtlinge aus den großen Städten, die nach-
einander in Rauch aufgingen. Pornohefte, wie sie
noch niemand gesehen hatte, wurden in den Dör-
fern unter der Hand weitergereicht. Ganzseitige Fo-
tos von Schwanz und Votze und Titten und Arsch,
auf Glanzpapier und in Farbe. Jede erdenkliche
Art von Drogen wurde gehandelt. Rock 'n Roll
dröhnte aus den Wäldern und übertönte den Krach
der Motorsägen. Tipis und ganz merkwü,rdige Dom-
kuppeln in grellen Farben und mit seltsarnen Bema-
lungen. Schwarze chromblitzende Monster-Motorrä-
der-rasten über die Waldwege, wo sonst die Baum-
stämme 'runter ins Tal gesctrleift wurden. Ganze
Stampeden von Wilden auf frisierten 500er Maschi-
nen rasten durch die Fischerdörfer. Rolling-Stones-
Poster hingen plötzlich an Scheunentoren und Kirch-
türen. Einheimische Girls hatten plötzlich Tätowie-
rungen an Stellen, wo man vorher nichtmal im Traum
daran gedacht hätte. Die Mounties rückten an, aber
hier war für die Polente nichts mehr auszurichten,
das ließ sich nicht mehr eindämmen. Man konnte
bei den Kids längst nicht mehr sagen, wils ein Kana-
dier und was ein Amerikaner war. Alle waren hem-
mungslos am Ficken und Lutschen und Durchziehen
oder jagten sich Spritzen rein, und alles tanzte und
machte einen locker. Und in weiter Feme konnte
man das Geräusch hören, das Amerika machte, als
es mit Karacho vor die Hunde ging und ins Meer
kippte.
Sam Shepard: geboren am 5. November in Fort Sheradon,
Illinois. Von da an ging's nach Iowa, Guam, Michigan, Minne-
sota, Oklahoma, Wisconsin, South Dakota, Arizona, Kali-
fornien, Kanada, London, Mexiko und New York. Schrieb
unter andetem das Drehbuch zu Michelangelo Antonionis
Film ZABRISKIE POINT. Gemeinsam mit Patti Smith
verfaßte er MAD DOG BLUES. ,,Er stachelte mich immer
dazu an, in den Bars auf den Putz z,,t hauen." (Patti Smith)
Damals in den 70er Jahren c by SamShepard