Page 18 - gasolin#09
P. 18

naille sowie der von mir sonst selbstverständlich gemiedenen  über vierzig, damals  1980,  war nach Schleyers  Abgang  dessen
                  mickrigen Bochumer  Kultur-Schickeria nicht gleich  als Sohn  Nachfolger im Arbeitgeberverband  der Metallindustrie  in
                  der Arbeiterklasse und Korrespondent  eines Alternativ-Maga-  Nordwürttemberg/Nordbaden  geworden und als solcher har-
                  zins (Marabo)  zu verraten. Ich wollte fast schon  wallraffisch  so  ter, härtester Gegner des Gewerkschafters  Franz  Steinkühler.
                  tun, als sei ich einer von ihnen. Ich tat, als sei nichts, lauschte  Es kann sein, daß er, als ich ihn im Foyer sah,  schon als Boß der
                  Herrn Verleger Dr. Unseld und beobachtete  den Zeit-Kritiker  AEG  seine Millionen Brötchen  pro Monat  verdiente.
                  Benjamin Henrichs. Der schwule  Otto Heuer trug nur in dieser  Er schlenderte mit seiner  Frau ohne  Angst trotz fehlender
                  öffentlichkeit  seine  Forderung  nach gay liberation auf  den  Leibwache  auf mich zu, obwohl mein Gesicht auf  jeden Steck-
                  Markt, in Form eines  Buttons.  Auch begegneten mir im Foyer  brief paßte. Was hatte ich gegen ihn? Was hatte er mir getan?
                  der Kammerspiele  Heinrich  Vormweg (Süddeutsche  Zeitung)  Allein der Anblick  eines  Erzkapitalisten  brachte mich inner-
                  und das halbe Feuilleton der FAZ.               lich in Rage. Ich war auch verdattert, in der Premiere  eines
                   Peymann  war in Bochum  nie populär  als Intendant,  nicht zu  Stückes  eines nicht gerade  obrigkeitsfreundlichen Literatur-
                  vergleichen  in seiner Beliebtheit  mit Peter Zadek. Bevor er sei-  Anarchen,  das ein als durchaus links  geltender  Regisseur insze-
                  nen Zwanzigtausendmarksjob  antrat,  verkündete er im Regio-  nierte, einen Ausbeuter  zu treffen mit einer  Garage voller Mer-
                  nal-Fernsehen:  "Ich  mache doch kein Theater für Benjamin  cedesse. Mir wurde schlecht.  Ich trank das Bier aus und ging an
                  Henrichsl"  Aber natürlich!  Denn Henrichs,  den ich übrigens  die frische bleihaltige  Bochumer  Luft. Ich beschloß,  dieses Bo-
                  sehr schätze, und die anderen Kritiker der obersten Kategorie  chumer Theater dieses  Intendanten nicht mehr zu betreten.
                  machen die Preise in ihren Gazetten.  Herr  Peymann  scheißt  Vielleicht kindisch,  aber ich möchte meinen  Kunstgenuß  nicht
                  doch was auf ein volles  Haus, gefüllt  mit Opelanern, Kruppia-  freiwiltig  mit  jemandem  teilen, der Lohndrückerei, Entlassun-
                  nern und röchelnden  Rentnern,  wenn nur die Kritiken in den  gen, Rationalisierung,  Status quo auf sein Papier geschrieben
                  richtigen  Zeittngen richtig sind. Die bestimmen  seinen Markt-  hat. In solch eine  Vorstellung geh ich nicht  mehr rein.
                  wert.  Und diesen Rahm schöpft  er demnächst  am Burgtheater  Ich fuhr  nach APPEL,  der Disco,  wo die 500 Anwesenden
                  ab.                                             gerade  auf The Clash abfuhren.  Norbert stellte  mir ein Alt hin
                                                                  und fragte sich angesichts  meiner Klamotten, wo ich denn  ge-
                  Iamals  an ienem  Seotemberabend  wären Tausende von  rade herkomme. "Aus'm Theater. Ich hab gerade ein Stück
                  I  lso.trrn.Ä  zur Prämiere  geströmt, nicht wegen Bern-  Scheiße  gesehen."  Ich trank aus und  ging durch  den düsteren
                  Uhards  Stück oder Peymanni Inszenierung  (unä  sein  be-  Volkspark nach Hause. Hier im Stockdunkeln  fernab  jedes Ka-
                  rühmter Aufruf zur Sammlung für Gudrun Ensslins  dritte  pitalisten  fühlte  ich mich sicher,  so sicher wie Herr Duerr unter
                  Zähne  war  ja doch  nur ein Gag und keine  Uberzeugungstat),  seinesgleichen im Schauspielhaus,  Und ich stellte mir vor, was
                  sondern wegen der Akteure Berhard  Minetti und Edith  Heer-  gewesen wäre wenn  z.B. Christian Klar,  von dem die Medien
                 degen. Aber die doofen Bochumer  durften,  soweit  sie keine  behaupten er sei ein Mörder diverser  Banker u.ä. RePräsentan-
                  arschfickenden  Beziehungen  zur Theaterkasse  unterhielten  ten unseres Rechtsstaates, an meiner Stelle im Theater  gewesen
                  oder wie ich als Schreiber/Beobachter  wenigstens  in die letzte  wäre, nachdem  er Wind davon bekommen  hätte, daß Herr
                  Reihe  abgeschoben  wurden,  nicht rein. Sondern (mir fiel bald  Duerr schutzlos  im herrschaftsfreien  Raum der Kunst  die Hon-
                  meine Pulle Pils aus der Hand,  als ich ihn erblickte):  Herr  neurs  machte. Er hätte sich wahrscheinlich etwas eingeworfen,
                  Duerr  nebst Gattin.                            die Fluchtwege inspiziert,  hätte  Herrn Duerr umkreist, wäre  si-
                   Ich konnte mir in diesem Augenblick keinen größeren Ge-  cher  gewesen,  daß der ohne Gorillas  da war und dann,  wie viel-
                  gensatz zu mir als diesen  Mann  vorstellen,  außer einigen Toten,  leicht schon mal am 5. September 1977, seinen COLT COM-
                  u.a. Schleyer, aber der war da ja schon  knapp  drei Jahre un-  BAT COMMANDER  gezogen  und das Magazin  leergeschos-
                  term Torf, viehisch gemeuchelt. Aber trotzdem.  Während  sei-  sen.
                  ner Zeil in den Klauen  der R.A.F.  oder wie immer sich  dieser
                  Trupp Desperados  im Herbst 77 schimpfte,  empfand  ich wie  I  lnverrichteter  Dinge ging   sah
                  fast alle Leute, die ich persönlich kannte und mit denen ich da-  I1r.,.  aem Fenster. Zant   erne
                  mals in jenen  sechs  Wochen  am Tresen laberte oder auf dem  lUs,uo,,  ore rcn  gegen Kern   oen
                  Sportplatz  in der Halbzeit  nach Ablenkung  suchte, alles andere  hellen  Punkten  war nichts mehr  gegen Mitternacht  von ihr zu
                  als klammheimliche  Freude  . Sie war lauthals.  Tut mir leid. Un-  erkennen.  Ich hatte  noch was zu tun. Zwei  Tage später sollte
                  ter meinen  Bekannten  (mehr  Malocher  als Intellektuelle),  von  ich noch kleiner Kacker  mein  erstes Interview  machen,  und das
                  denen  keiner was  an die CDU spendet,  empfand  keiner Mitge-  gleich mit Cliff Richard  imRamada  Inn in der Bayer-Stadt Le-
                  fühl. Schleyer  war nun mal DER FEIND AN SICH, ein Aus-  verkusen.  Ich suchte in meiner  ungeordneten  Platten-Samm-
                  beuter und ein ehemaliger SS-Freiwilliger,  damals auch nicht  lung nach einer  Scheibe von  ihm, konnte aber aufAnhieb  keine
                  so ohne,  "ein fieser Typ" (meine  Mutter). Und schon kurz nach  finden.  Also stellte  ich das Radio an.  "Night  Flight",  mit Alan
                  dem Kidnapping kursierte der Witz (aber  nicht lange):  "Baader  Bangs,  der mich damals  noch  nicht kannte.
                  und Ensslin  wollen bald heiraten  -   Schleyer  haben  sie schon"'  Ich setzte die Kopfhörer  aul und hörte wie Larry Williams
                  Wie man überhaupt einsehen  sollte, daß sich die Trauer der  seine Version  von  "Whole Lotta Shakin'Goin'On"  schrie . Ich
                  Unterschicht  in Grenzen  hält, wenn zum Beispiel  die bayrische  war's  zufrieden.
                  Florence  Nightingale  Marianne Strauß mit ihrem unbewach-
                  ten BMW Harakiri  macht. Ich plauschte  neulich, an  jenem
                  Sonntagmorgen,  als sie die Bild-Schlagzeile lieferte, mit einem
                  Frührentner an der Seltersbude.  Er meinte, die hätte  er auch
                  nicht aus dem Bett geschmissen, die sei kurant gewesen'  Man
                  solltejedoch nicht vergessen, daß die Unterschicht  ebenso we-
                  nig Mitleid  mit den so oder so getöteten  Terroristen  in Stamm-
                  heim hatte, die  ja  keine  von unten waren, vielmehr  frustrierte
                  Kinder aus dem Bürgertum, Pastorentöchter  und Schulrats-
                  söhne,  die von unten  aus  gesehen zu den  "besseren  Völkern"
                  gehörten. Allerdings,  die meisten,  die ich im späten Oktober  77
                  sprach,  waren sicher, daß man  diesen Amoks  beim  Selbstmord
                  nachgeholfen  hatte. Ich referiere nur und möchte auch zu be-
                  denken  geben,  um das  ganze  auch in einen  Kunstzusammen-
                  hang  zu it.ll.r, was  neulich  der Asthetik-Prof. Bazon  Brock im
                  Radio  glaubhaft  erzählt hat: "Damals  gab es in den Altershei
                  men mehr Sympathisante  n für die R.A.F.  als in der gesamten
                  Linken der Bundesrepublik."
                  Duerr? Wo mußt du ihn hinstecken?  Dieser Mensch, etwas
                  l8
   13   14   15   16   17   18   19   20   21   22   23