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naille sowie der von mir sonst selbstverständlich gemiedenen über vierzig, damals 1980, war nach Schleyers Abgang dessen
mickrigen Bochumer Kultur-Schickeria nicht gleich als Sohn Nachfolger im Arbeitgeberverband der Metallindustrie in
der Arbeiterklasse und Korrespondent eines Alternativ-Maga- Nordwürttemberg/Nordbaden geworden und als solcher har-
zins (Marabo) zu verraten. Ich wollte fast schon wallraffisch so ter, härtester Gegner des Gewerkschafters Franz Steinkühler.
tun, als sei ich einer von ihnen. Ich tat, als sei nichts, lauschte Es kann sein, daß er, als ich ihn im Foyer sah, schon als Boß der
Herrn Verleger Dr. Unseld und beobachtete den Zeit-Kritiker AEG seine Millionen Brötchen pro Monat verdiente.
Benjamin Henrichs. Der schwule Otto Heuer trug nur in dieser Er schlenderte mit seiner Frau ohne Angst trotz fehlender
öffentlichkeit seine Forderung nach gay liberation auf den Leibwache auf mich zu, obwohl mein Gesicht auf jeden Steck-
Markt, in Form eines Buttons. Auch begegneten mir im Foyer brief paßte. Was hatte ich gegen ihn? Was hatte er mir getan?
der Kammerspiele Heinrich Vormweg (Süddeutsche Zeitung) Allein der Anblick eines Erzkapitalisten brachte mich inner-
und das halbe Feuilleton der FAZ. lich in Rage. Ich war auch verdattert, in der Premiere eines
Peymann war in Bochum nie populär als Intendant, nicht zu Stückes eines nicht gerade obrigkeitsfreundlichen Literatur-
vergleichen in seiner Beliebtheit mit Peter Zadek. Bevor er sei- Anarchen, das ein als durchaus links geltender Regisseur insze-
nen Zwanzigtausendmarksjob antrat, verkündete er im Regio- nierte, einen Ausbeuter zu treffen mit einer Garage voller Mer-
nal-Fernsehen: "Ich mache doch kein Theater für Benjamin cedesse. Mir wurde schlecht. Ich trank das Bier aus und ging an
Henrichsl" Aber natürlich! Denn Henrichs, den ich übrigens die frische bleihaltige Bochumer Luft. Ich beschloß, dieses Bo-
sehr schätze, und die anderen Kritiker der obersten Kategorie chumer Theater dieses Intendanten nicht mehr zu betreten.
machen die Preise in ihren Gazetten. Herr Peymann scheißt Vielleicht kindisch, aber ich möchte meinen Kunstgenuß nicht
doch was auf ein volles Haus, gefüllt mit Opelanern, Kruppia- freiwiltig mit jemandem teilen, der Lohndrückerei, Entlassun-
nern und röchelnden Rentnern, wenn nur die Kritiken in den gen, Rationalisierung, Status quo auf sein Papier geschrieben
richtigen Zeittngen richtig sind. Die bestimmen seinen Markt- hat. In solch eine Vorstellung geh ich nicht mehr rein.
wert. Und diesen Rahm schöpft er demnächst am Burgtheater Ich fuhr nach APPEL, der Disco, wo die 500 Anwesenden
ab. gerade auf The Clash abfuhren. Norbert stellte mir ein Alt hin
und fragte sich angesichts meiner Klamotten, wo ich denn ge-
Iamals an ienem Seotemberabend wären Tausende von rade herkomme. "Aus'm Theater. Ich hab gerade ein Stück
I lso.trrn.Ä zur Prämiere geströmt, nicht wegen Bern- Scheiße gesehen." Ich trank aus und ging durch den düsteren
Uhards Stück oder Peymanni Inszenierung (unä sein be- Volkspark nach Hause. Hier im Stockdunkeln fernab jedes Ka-
rühmter Aufruf zur Sammlung für Gudrun Ensslins dritte pitalisten fühlte ich mich sicher, so sicher wie Herr Duerr unter
Zähne war ja doch nur ein Gag und keine Uberzeugungstat), seinesgleichen im Schauspielhaus, Und ich stellte mir vor, was
sondern wegen der Akteure Berhard Minetti und Edith Heer- gewesen wäre wenn z.B. Christian Klar, von dem die Medien
degen. Aber die doofen Bochumer durften, soweit sie keine behaupten er sei ein Mörder diverser Banker u.ä. RePräsentan-
arschfickenden Beziehungen zur Theaterkasse unterhielten ten unseres Rechtsstaates, an meiner Stelle im Theater gewesen
oder wie ich als Schreiber/Beobachter wenigstens in die letzte wäre, nachdem er Wind davon bekommen hätte, daß Herr
Reihe abgeschoben wurden, nicht rein. Sondern (mir fiel bald Duerr schutzlos im herrschaftsfreien Raum der Kunst die Hon-
meine Pulle Pils aus der Hand, als ich ihn erblickte): Herr neurs machte. Er hätte sich wahrscheinlich etwas eingeworfen,
Duerr nebst Gattin. die Fluchtwege inspiziert, hätte Herrn Duerr umkreist, wäre si-
Ich konnte mir in diesem Augenblick keinen größeren Ge- cher gewesen, daß der ohne Gorillas da war und dann, wie viel-
gensatz zu mir als diesen Mann vorstellen, außer einigen Toten, leicht schon mal am 5. September 1977, seinen COLT COM-
u.a. Schleyer, aber der war da ja schon knapp drei Jahre un- BAT COMMANDER gezogen und das Magazin leergeschos-
term Torf, viehisch gemeuchelt. Aber trotzdem. Während sei- sen.
ner Zeil in den Klauen der R.A.F. oder wie immer sich dieser
Trupp Desperados im Herbst 77 schimpfte, empfand ich wie I lnverrichteter Dinge ging sah
fast alle Leute, die ich persönlich kannte und mit denen ich da- I1r.,. aem Fenster. Zant erne
mals in jenen sechs Wochen am Tresen laberte oder auf dem lUs,uo,, ore rcn gegen Kern oen
Sportplatz in der Halbzeit nach Ablenkung suchte, alles andere hellen Punkten war nichts mehr gegen Mitternacht von ihr zu
als klammheimliche Freude . Sie war lauthals. Tut mir leid. Un- erkennen. Ich hatte noch was zu tun. Zwei Tage später sollte
ter meinen Bekannten (mehr Malocher als Intellektuelle), von ich noch kleiner Kacker mein erstes Interview machen, und das
denen keiner was an die CDU spendet, empfand keiner Mitge- gleich mit Cliff Richard imRamada Inn in der Bayer-Stadt Le-
fühl. Schleyer war nun mal DER FEIND AN SICH, ein Aus- verkusen. Ich suchte in meiner ungeordneten Platten-Samm-
beuter und ein ehemaliger SS-Freiwilliger, damals auch nicht lung nach einer Scheibe von ihm, konnte aber aufAnhieb keine
so ohne, "ein fieser Typ" (meine Mutter). Und schon kurz nach finden. Also stellte ich das Radio an. "Night Flight", mit Alan
dem Kidnapping kursierte der Witz (aber nicht lange): "Baader Bangs, der mich damals noch nicht kannte.
und Ensslin wollen bald heiraten - Schleyer haben sie schon"' Ich setzte die Kopfhörer aul und hörte wie Larry Williams
Wie man überhaupt einsehen sollte, daß sich die Trauer der seine Version von "Whole Lotta Shakin'Goin'On" schrie . Ich
Unterschicht in Grenzen hält, wenn zum Beispiel die bayrische war's zufrieden.
Florence Nightingale Marianne Strauß mit ihrem unbewach-
ten BMW Harakiri macht. Ich plauschte neulich, an jenem
Sonntagmorgen, als sie die Bild-Schlagzeile lieferte, mit einem
Frührentner an der Seltersbude. Er meinte, die hätte er auch
nicht aus dem Bett geschmissen, die sei kurant gewesen' Man
solltejedoch nicht vergessen, daß die Unterschicht ebenso we-
nig Mitleid mit den so oder so getöteten Terroristen in Stamm-
heim hatte, die ja keine von unten waren, vielmehr frustrierte
Kinder aus dem Bürgertum, Pastorentöchter und Schulrats-
söhne, die von unten aus gesehen zu den "besseren Völkern"
gehörten. Allerdings, die meisten, die ich im späten Oktober 77
sprach, waren sicher, daß man diesen Amoks beim Selbstmord
nachgeholfen hatte. Ich referiere nur und möchte auch zu be-
denken geben, um das ganze auch in einen Kunstzusammen-
hang zu it.ll.r, was neulich der Asthetik-Prof. Bazon Brock im
Radio glaubhaft erzählt hat: "Damals gab es in den Altershei
men mehr Sympathisante n für die R.A.F. als in der gesamten
Linken der Bundesrepublik."
Duerr? Wo mußt du ihn hinstecken? Dieser Mensch, etwas
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