Menschen am Rande unserer Gesellschaft


“Der Herr Kleemann”
Erwin Kleemann ist obdachlos. Erwin Kleemann ist Elvis. Erwin Kleemann ist Kult. Ein Portrait mit Fotos von vielleicht Kölns bekanntestem Obdachlosen Elvis.

Am 20.September 1947 erblickte Erwin im hessischen Groß Gerau als Kind noch sehr junger Eltern, Vater 21 und Mutter 16, das Licht der Welt. Aufgewachsen ist Erwin in einem Heim und bekam dort als gerade mal 11jähriger Knirps seinen bis heute gültigen Spitznamen Elvis verliehen. Die Charterfolge von Elvis Presley mit seinem unglaublichen Rock `n`Roll, insbesondere in den Jahren 1956/57, ließen ihn zur Leitfigur einer ganzen Teenagergeneration werden und Erwin Kleemann war mit einer Elvisfrisur dabei. Nach seinem Schulabschluss versuchte sich Elvis zunächst als Tankwart im heimischen Groß Gerau. “Da wurden noch die Türen für den Fahrer geöffnet, es wurde für ihn getankt und anschließend die Scheiben gesäubert. Das kennt man doch heute nicht mehr”. Der Verdienst war allerdings gering und so zog es Elvis als “Malocher” zum Bau. Der weitere Werdegang war dann der Wechsel zum Landschaftsbau, der Endstation seiner beruflichen Laufbahn.

Seine 1982 eingegangene Ehe hielt nur für wenige Jahre. Elvis haderte zudem zunehmend mit der verlogenen Bürgerlichkeit, der großen Politik und stieg aus. Seit gut 30 Jahren lebt Elvis bewusst und auch durchaus zufrieden auf der Straße. Die ersten Stationen seiner “Tour” waren dann z.B. Darmstadt, Frankfurt und München aber auch das Ausland lockte mit den Niederlanden, Belgien und Schweden. Wegen seiner Nichte kam Elvis dann 2006 nach Köln und wird auch in der Domstadt bleiben. Einige Jahre lebte Elvis in Kölns schönster Obdachlosenwohnung unter der Zoobrücke. Aus Sperrmüll hatte er sich sein Mobiliar zusammengesucht und dieses liebevoll für sich wohnlich arrangiert. An den Wochenenden kam häufiger junge Zoobesucher vom nahegelegenen Kölner Zoo an seine “Haustür”. Meistens blieb Elvis dann zuhause und passte auf, damit seine Wohnung nicht zu einem Spielplatz für die Pänz “verkam”. “Gegen Nichts auf dieser Welt würde ich meine Wohnung eintauschen wollen”, so sein damaliges Credo. Leider lockte dieser Komfort etliche andere Obdachlose, überwiegend aus den Ostblockländern, und das Gelände vermüllte. Das Kölner Ordnungsamt machte kurzen Prozess und räumte alles weg. Seine neues Bleibe hat Elvis inzwischen auf der Schäl Sick, auf dem LVR – Gelände gefunden, wo er für sich ein kleines Zelt aufgebaut hat.

Elvis ist Kult. Für ein Musikvideo der Höhner “Alles verlore”, u.a. Minsche sin Minsche, ejal wat se sind oder han” wurde Elvis gefilmt, der Fernsehsender arte zeigte Elvis im Rahmen einer Kölnreportage “Frisuren für ein neues Ich, wie die Barber Angels Obdachlosen helfen” und auch als Frisurmodel ist Elvis für die kommende Barber Convention in Düsseldorf eingeladen. Am 20.September feiert Elvis seinen 70.Geburtstag. Möge er noch möglichst lange bei bester Gesundheit das Stadtbild Köln mit seinem besonderen Äußeren und spannenden Geschichten bereichern und vielleicht lässt er sich von seinen Freunden bei den Barber Angels eines Tages wieder eine Elvistolle frisieren?

Viele Fotografen haben den markanten Elvis mit seiner gewaltigen Haarpracht und seiner Lederkleidung schon vor ihrer Linse gehabt. Für mich macht die Kenntnis der Geschichte des Herrn Kleemann meine eigenen Fotos inhaltsschwer. Es entstehen keine Fotos mehr, die mal eben en passant gemacht worden sind und bei fast jedem neuen Foto steht die Überlegung, ob diese Szene zur Person Elvis und auch zu seiner Geschichte passt. Die US-amerikanische Fotografin Annie Leibovitz begleitete sogar in den 70er Jahren die Rolling Stones, zog mit ihnen zusammen, bevor sie die ihrer Meinung nach richtigen Portraits machen konnte.

Meiner Erfahrung nach bekommen Fotos von Menschen am Rande der Gesellschaft aber auch Portraits von “wilden Typen” deutlich mehr Charme und auch Gewicht, wenn man deren Geschichten kennt und sich mit ihnen auch nachhaltig beschäftigt hat. Passt das Lächeln oder ist der etwas wirre Blick nur eine Eintagsfliege, die man zufällig als fotografische Jagdtrophäe mitgenommen hat? Abgesehen von dem zusätzlichen und unbezahlbaren Erfahrungsschatz für sich selbst, spiegelt diese Art von neudeutsch “Sociodocumentary street photography” dann auch das wahre Leben wider und entfernt sich von den Zirkusaufführungen von Zufallsfotos.

 


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